vendredi 20 juin 2008

Homo Sovieticus

Ich las in Simonows Buch "Aus der Sicht meiner Generation". Dabei fiel mir wieder mal auf, wie tricky diese Sowjetgesellschaft war. In ihrem Buch "Gestern morgen" nimmt Bini Adamczak den Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich und beschreibt, welch ungeheuren Schock das auf Kommunisten weltweit verursachte. (Ich habe im Anschluss an diesen Abend erstmalig reflektiert, dass es sich bei diesem Schock um ein ernstzunehmendes Phänomen handelt. Woran mir das klar wurde: dazu an anderer Stelle.)
Aber dieses Phänomen ist ja nichts verglichen mit den Ereignissen in der UdSSR Ende der 30er Jahre. Da werden plötzlich an Stellen der Armee (von den oberen Feldwebegraden aufwärts und das sind in einer Armee wie der Roten so einige Zehntausend Menschen) Saboteure 'entdeckt'. Diese werden verhaftet (die bekanntesten: Uborewitsch, der sowohl von Shukow als auch von Konew als begnadeter Ausbilder und Stratege bezeichnet wurde, Tuchatschewski, der ein gewisses adliges Abenteurertum an sich hatte, was in den Augen Shukows kritikabel war, Shtern, Kork, Jakir, dessen Frau zu Beginn ihrer Haft 1937 zeitweise im selben Lager war wie Anna Larina-Bucharina), öffentlich diffamiert und hingerichtet. Ganz abgesehen davon, dass dies ungeheur schlimme Auswirkungen nicht nur auf den Kaderbestand der Roten Armee hatte, war es ein moralisches Desaster überhaupt für die zurückbleibenden Militärs. Dieses Desaster ist es aber nicht, was mich beschäftigt. Es war nämlich, dass sich diese Verhaftungen, Prozesse und Hinrichtungen, die Saboteurshysterie unter Jeshow, dem "Eisernen Volkskommissar" abspielten. 1939 wird dieser von Stalin seines Amtes enthoben mit der Begründung: Es seien Überspitzungen vorgekommen. Stalin beruft Berija zum Volkskommissar, einen Mann, den er aus Georgien kannte und dem er vertraute - heißt es bei Simonow - schien es den Leuten. Und dieser BEGNADIGT ZEHNTAUSENDE MITTLERE MILITÄRS. Viele kehren zurück, verlassen die Lager, die Gefängnisse, und meinen - und andere meinen es auch zu recht - dass Berija auf Stalins Eingreifen hin, Jeshows Fehler korrigiert. Das heißt: Viele sahen wieder Gründe, in die Gerechtigkeit der proletarischen Volkskommissare und ihrer Institutionen zu vertrauen. Und es heißt auch: Wer in diesem Moment nicht entlassen, nicht rehabiliert wurde, hatte wirklich sabotiert. Denn Berija schickte sich ja an, Unschuldige zu entlassen. Wie soll man da ein realistisches Maß finden, um den richtigen Leuten, Strukturen und Verhaltensweisen zu mißtrauen? Ich meine, dass sich hier ein wesentliches Moment der sowjetischen Tragik versteckt.

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